Die Strassen von Corleone – sicher und sehenswert
Kein Ort auf Sizilien wird so stark mit der Mafia in Verbindung gebracht wie jene Stadt Corleone, nach der Mario Puzo die Hauptfigur Don Vito Corleone in seinem Bestseller "Der Pate" benannt hat. Tatsächlich haben in Corleone zwei der mächtigsten und brutalsten Mafiabosse gelebt – Salvatore (Totò) Riina und Bernardo Provenzano, beide sitzen mittlerweile hinter Gittern.
Auch ich war bei meiner ersten Begegnung mit Corleone gespannt, ob sich ein gewisser Mafia-Grusel einstellen würde, obwohl ich natürlich weiß, dass die Organisation seit vielen Jahren versucht, für die Öffentlichkeit unsichtbar zu werden, um ungestört ihren Geschäften nachzugehen. Der Aufschrei der sizilianischen Bevölkerung nach dem Mafia-Terror der frühen 90er Jahre, insbesondere nach der Ermordung der beiden Mafia-Jäger Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, und nicht zuletzt der massive Fahndungsdruck von Seiten des Staates ließ die Bosse um ihre Machtbasis fürchteten und die Zahl der Mafiamorde ging stark zurück.
Ich stehe also auf der Piazza in Corleone und sehe tatsächlich als erstes das Wort Mafia – auf einem Plakat zu einer Veranstaltungsreihe zum Thema Legalità (Legalität), einem der Oberbegriffe unter dem diverse Antimafia-Initiativen (wie z.B. Libero Futuro) entstanden sind. Ich gehe in die Touristen-Information und bekomme dort kostenlos einen Stadtplan und die sehr freundliche junge Frau weist mich als wichtigste Sehenswürdigkeiten auf das Antimafia-Museum und auf das konfiszierte Haus von Bernardo Provenzano hin, in dem man mafiafreie Produkte kaufen kann, also Produkte, die auf von der Mafia konfiszierten Ländereien angebaut wurden. Dieses Haus heisst Bottega della Legalità.
Hatte ich befürchtet, dass Corleone versucht, sich vor einer Auseinandersetzung mit dem Thema Mafia zu drücken, stelle ich jetzt fest, wie offensiv damit umgegangen wird, sogar die Bar hat "Der Pate"-Filmplakate aufgehängt.
Als ich meinen Rundgang beginne, rauscht ein mit Sofas beladener Klein-LKW vorbei. Es ist nicht etwa der Lieferservice sondern ein fahrendes Möbelgeschäft und die Sofas werden direkt auf der Strasse verkauft. Auf Sizilien gibt es noch viele fahrende Geschäfte, ich habe bisher Anzüge und Kleider, Hüte, Unterwäsche, Putzmittel und natürlich Fisch, Brot und Gemüse auf LKWs und Dreirädern gesehen, die mit lauten Rufen in den Dörfern angeboten werden.
Die Strassen von Corleone sind sehr sizilianisch – in den engen Gassen weht die Wäsche und alte Herren sitzen im Schatten vor den Häusern und beobachten und kommentieren das Tagesgeschehen. Mein freundliches Buongiorno wird ebenso freundlich erwidert und es ergibt sich manchmal ein kurzes Gespräch.
Das Antimafia-Museum empfängt mich mit dem Konterfei von Totò Riina und als Kontrast gleich gegenüber ein Zitat des ermordeten Antimafia-Richters Giovanni Falcone: "Es ist notwendig, bis zum Ende die eigene Pflicht zu erfüllen, was auch immer für ein Opfer man tragen muss, koste es, was es wolle, denn darin besteht das Wesen der menschlichen Würde." Hier trifft der mörderische Ehrbegiff der Mafia auf die Verteidigung der menschlichen Würde. Auch für die Antimafia-Bewegung Addiopizzo steht die Würde im Mittelpunkt, wie sie mit ihrer spektakulären Plakataktion, die 2004 die Bewegung in Palermo begründete, verdeutlichte: "Ein ganzes Volk, daß Schutzgeld zahlt, ist ein Volk ohne Würde."
Das Museum, besser gesagt das Dokumentationszentrum (sein offizieller Name ist CIDMA - Centro Internazionale di Documentazione sulle Mafie e del Movimento Antimafia), zeigt beeindruckende Fotografien von Letizia Battaglia, die den Terror der Mafia über viele Jahre auf bedrückenden Schwarzweißfotos festgehalten hat. In einem Raum stehen Reihen von Prozessakten, die von Giovanni Falcone und Paolo Borsellino für den sogenannten Maxiprozesse aufbereitet wurden. In ihm wurden 1986/87 mehrere Hundert Mafiosi vor Gericht gestellt und verurteilt. Es lohnt sich, eine Führung mitzumachen, bei der man umfangreiche Informationen zum Thema Mafia auf Sizilien erhält.
Nach dieser notwendigen Lehrstunde ist mir nach frischer Luft und ich wandere an den Rand des Dorfes und finde – einen Canyon! Ein je nach Jahreszeit mehr oder weniger beeindruckender Wasserfall ergießt sich in einen geradezu idyllischen Fluß, das ganze umstellt von schroffen Felswänden und auch im Sommer angenehm klimatisiert und grün, das hatte ich hier nicht erwartet. Meine Wanderung führt auf befestigten Wegen durch den Canyon hin zu einem Aussichtspunkt, von dem aus ich Corleone lange von oben betrachte. Die Normalität dieser einstigen Mafia-Hochburg ist ein guter Anfang auf dem Weg zu einem mafia-freien Sizilien.
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